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Neo-Malthus

Die neo-malthusianische Falle (Prometheus meets Malthus)

Wie ein Fossil aus vergangenen Jahrhunderten steht Thomas Malthus (1766-1834) paradigmatisch für eine Weltsicht, die durch das Zeitalter der Entdeckungen und die kleine industrielle Revolution der frühen Neuzeit überwunden schien. Die energetische Begrenztheit einer Welt, die der strengen Ökonomie der Natur unterworfen ist, spiegelt sich wider in einer "universalen" Vorstellung, der limited-goods conception der Anthropologie, die in allen vorindustriellen Gesellschaften zu finden ist. Die "grundlegenden Züge dieser Rechtsgemeinschaft:

◊ alle Wesen, Dinge und Ressourcen sind endlich;
◊ nichts kann in diesem Kosmos enstehen, ohne daß etwas anderes (dadurch) untergeht;
nichts kann aus sich selbst heraus entstehen, keine creatio ex nihilo;
nichts kann ersatzlos untergehen;
der Wandel aller Dinge ist ständige Transformation und Kompensation
◊ die Summe der Gewinne und Verluste ist gleich Null;
des einen Gewinn ist des anderen Verlust;
es gibt keine Transaktionen, bei denen »der Vorteil auf beiden Seiten« sein kann ('win-win')" (G.M.Foster, Peasant Society and the Image of Limited Goods, 1965, zit. nach Binswanger/von Flotow 1994:63-64).

In seinem klassischen Essay stellte Malthus die These auf, daß eine Bevölkerungskatastrophe unvermeidlich sei, weil die Bevölkerung eine Tendenz habe, sich geometrisch, also wie 1 - 2 - 4 - 8 - 16 (in heutigem Sprachgebrauch: exponentiell) zu vermehren, während sich die Erzeugung von Lebensmitteln nur arithmetisch, also wie 1 - 2 - 3 - 4 - 5 (oder linear) steigern könne. Das würde bedeuten, daß die Nahrungsmittelversorgung pro Kopf von einem bestimmten Zeitpunkt an sinken und dann immer schneller abfallen würde. Dieses klassische und einfache malthusianische Konzept vertrat im Grunde genommen auch noch Paul Ehrlich, als er 1968 in The Population Bomb schrieb, daß "in den 70er Jahren Hunderte von Millionen Menschen verhungern würden".

 
Abb. 16a Malthus These: Nahrungsmittelversorgung steigt linear, Bevölkerung wächst exponenentiell (nach Harborth 1991

Im 19. und 20. Jahrhundert wurde Malthus meist nur noch als Beispiel dafür zitiert, daß derartige pessimistische Projektionen längst vom Fortschritt der Technik überholt seien. So schrieb noch 1956 der Direktor des hochangesehenen Kieler Instituts für Weltwirtschaft Fritz Baade, die Erde könne "bei einigermaßen befriedigender Ausnutzung der eingestrahlten Sonnenergie nicht 65 Milliarden, sondern 650 Milliarden Menschen ernähren" (Baade 1956:37, zitiert nach Harborth 1991:21).

In den ersten Nachkriegsjahrzehnten gab es tatsächlich Entwicklungen, die eine optimistischere Zukunfstvision zu rechtfertigen schienen. Durch den wachsenden Einsatz von Maschinen, Mineraldüngern und Pestiziden und schließlich, in der Dritten Welt, die "grüne Revolution" durch die Einführung von Hochertragssorten konnten die landwirtschaftlichen Erträge auf ein Mehrfaches gesteigert werden. Die Getreideernten der Welt stiegen von 1950 bis 1984 um das 2,6fache (Kennedy 1993:91), die Reisproduktion von 1965 bis 1975 von 257 auf 468 Millionen Tonnen (Kennedy 1993:92).



Abb. 16b Produktionssteigerung in der Landwirtschaft: Nahrungsmittelkurve steigt an

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts zeichnet sich darüber hinaus eine zweite Trendwende ab, durch die Malthus nun endgültig als widerlegt erscheint: Seit den 80er Jahren geht zwar nicht etwa die Weltbevölkerung, aber die die Geschwindigkeit, mit der sie wächst, deutlich zurück, so daß die Nahrungserzeugung, obwohl sie langsamer steigt, noch mit ihr Schritt halten kann.



Abb. 16c Bevölkerungskurve steigt langsamer an

Wenn man den Verlauf dieser Kurven betrachtet, könnte man je nach Temperament und Ritus aufatmen oder auf die Knie sinken, um ein Hallelujah anzustimmen. Es sieht so aus, als wären wir gerade noch einmal davongekommen.

Nun zeigt sich leider, daß Malthus Ansatz zu eng war, indem er sich in seiner Analyse der Tragfähigkeit auf den Bedarf und die Produktion von Nahrungsmitteln beschränkte. Was uns nicht nur bevorsteht, sondern sich zu unseren Lebzeiten abspielt, geht klar aus der IPAT-Formel (Impact = Population x Afflucence x Technology) hervor. P, das Bevölkerungswachstum, flacht sich ab, aber A, der materielle Wohlstand pro Kopf, wächst weltweit mit ca. 3 % pro Jahr, also exponentiell. Selbst wenn in 50 Jahren auf der ganzen Welt nur das amerikanische Niveau von 1990 erreicht werden sollte, braucht die Weltbevölkerung, bei einer optimistisch angenommenen Effizienzsteigerung von Faktor 4, das Elffache an Ressourcen und das Elffache an funktionierenden natürlichen Systemen, die ihre Produktions- und Konsumabfälle verarbeiten.
 


Abb. 16d Steil ansteigende Kurve P*A (Bevölkerung * materieller Wohlstand)

Diese allgemeine Überlegung soll an einem konkreten Beispiel, nämlich der Entwicklung des Fleischverbrauchs in Abhängigkeit von der Steigerung des Realeinkommens illustriert werden.


Im Lauf der Industrialisierung zeigt sich in allen Gesellschaften folgende Gesetzmäßigkeit:

- Einkommen steigen
- Damit steigt Nachfrage nach Fleisch und Eiweißprodukten
- Da Fleisch und Eiweißprodukte einen 2- bis 7-fachen Input an Getreide erfordern (2 kg Getreide sind nötig, um 1 kg Geflügel zu produzieren, 4 kg für ein kg Schweinefleisch, 7 kg für 1 kg Rindfleisch), steigt die Nachfrage nach Getreide stark an.
- Der Anstieg der Bevölkerung flacht sich erst ca. 40 Jahre später ab (demographischer Übergang), also ist die Anfangsphase der Industrialisierung von einem starken Bevölkerungswachstum begleitet (China wird bis 2030 um 400 Millionen auf 1,6 Milliarden Menschen anwachsen).
- Während die Nachfrage nach Getreide und damit nach Anbaufläche exponentiell ansteigt (China wird bei Fortsetzung der jetzigen Entwicklung bis 2030 voraussichtlich zusätzliche 400 Millionen Tonnen zusätzlich zu den jetzigen 300 Millionen Tonnen brauchen), schrumpft die landwirtschaftliche Nutzfläche durch Industrie- und Wohnbauten, Straßenbau, sonstige Infrastruktur und Übernutzung (hoher Input von Mineraldüngern, Pestiziden, Bewässerung). "Asphalt ist die letzte Ernte des Landes" (Rupert Cutler). Die Schere oder genauer Klemme, in die das Land hineinläuft, ist vorgezeichnet:
-- China verliert z.Z. jährlich 1 % seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche. Der Huang He, der Gelbe Fluß, spült jährlich 1,6 Milliarden Tonnen Erdkrume ins Meer.
-- In den vergangenen Jahrzehnten wurden in Japan 52 %, in Südkorea 42 % und in Taiwan 35 % des Ackerlandes in Industrieanlagen und Wohnsiedlungen ... umgewandelt.
-- Zur Zeit gibt es pro Kopf der Weltbevölkerung 2800 qm landwirtschaftlich nutzbaren Landes. Bis zum Jahre 2025 wird dieser Durchschnitt auf 1700 qm gesunken sein, in Asien auf 900 qm (Kennedy 1993:95).
-- Bereits 50 % der Ackerfläche in China wird künstlich bewässert, rund die Hälfte davon aus Brunnen, daher sinkt in weiten Teilen des Landes der Grundwasserspiegel ab.

- Dieser Vorgang hat sich früher auch in anderen Industrieländern abgespielt (insbes. Japan); diese konnten jedoch auf Importe aus Überschußländern (insbes. USA) (1) sowie auf Eiweißversorgung aus dem Fischfang zurückgreifen (2).

-- (1) Jedes Jahr wächst die Anzahl der Menschen auf der Erde um 80 Millionen; dafür braucht es jedes Jahr zusätzliche 26 Millionen Tonnen Getreide. Diese Entwicklung wird voraussichtlich noch mindestens bis zur Mitte des Jahrhunderts anhalten - dadurch allein entsteht ein zusätzlicher Bedarf von 1,2 Milliarden Tonnen. Gleichzeitig gehen in den USA, die bisher mit 100 Millionen Tonnen die Hälfte der Weltgetreideexporte von 200 Millionen Tonnen bestritt, die Anbauflächen zurück.
-- (2) U.a. durch den ungeheuren Fischeiweißbedarf Japans sind inzwischen (lt. FAO) alle 17 wichtigen Fischfanggebiete mehr oder weniger überfischt, 70 Prozent der wichtigsten Fischarten gehen zurück, die Fischerei weicht auf andere, früher nicht gefischte Arten aus.

- Die Fischzucht ist ein Ausweg, der weiter in die Klemme führt: Bereits 1993 wurden knapp 12 Millionen Tonnen Getreide in der Fischzucht verfüttert - und damit 6 Millionen Tonnen Fisch (Karpfen) erzeugt.

- Die Garnelenzucht in Shrimpfarmen vermehrt den Eiweißkonsum in den Industrieländern und führt zu Eiweißmangel in den Entwicklungsländern. Die Garnelen werden z.T. mit Fischen gefüttert, die vor der Küste gefangen werden.

Von Malthus zum Neomalthusianismus

Malthus Grundaussage war: Das Bevölkerungswachstum ist schneller (geometrisch bzw. exponentiell) als das Wachstum der verfügbaren Ressourcen (arithmetisch bzw. linear). Das Gleichgewicht wird periodisch wiederhergestellt durch Einbrüche im Bevölkerungswachstum (Hungersnöte, Krankheiten, Epidemien - s. z.B. die Pest im 14. Jahrhundert). Die industrielle Revolution und die Industrialisierung der Landwirtschaft haben Malthus' Vorhersage widerlegt.

Im Licht der geschichtlichen Erfahrung wurde von ökologischen Denkern des Industriezeitalters wie Garret Hardin (Tragedy of the Commons, 1968) die These neuformuliert. Auch wenn sich durch technologischen Fortschritt die Kurve nach außen verschoben hat, gilt Malthus Gesetz nach wie vor: Menschen sind nicht in der Lage, den kollektiven Interessen Vorrang vor ihren privaten/persönlichen Interessen zu geben. Die Ressourcen werden ständig bedroht durch Verhaltensweisen, die auf der individuellen, nicht aggregierten Ebene logisch sind ("Rationalitätenfalle"). "As technological society progresses, the scarcity-induced control mechanisms which formed an important part of Malthus's argument fail to work as expected" (Redclift 1987:9). An ihrer Stelle müßten soziale, kulturelle, politische Mechanismen oder Institutionen die entsprechenden "weichen" Kontroll- (Begrenzungs-)funktionen ausüben. Aber "social and political institutions change too slowly and are unable to accomodate themselves to the realities of new resource pressure" (Redclift 1987:10).

Eine CO2-Rationierung, die aus Gründen des Klimawandels dringend angezeigt ist, könnte als Notbremse fungieren, um Raum und Zeit für das Nachwachsen der Institutionen zu schaffen.

(Mehr zum Thema CO2-Wirtschaft in dem Artikel Reduktion der CO2-Emissionen durch ein persönliches CO2-Kontingent)



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